HEINRICH EDUARD VON LANNOY

(* 3. Dezember 1787 in Brüssel; † 28. März 1853 in Wien)

Die Familie Lannoy kaufte Wildhaus im Jahre 1808 und schlug in Marburg Wurzeln. Davor hatten die Lannoys in Brüssel gelebt, sie gehörten einem angesehenen Adelszweig von Staatsmännern und Militärbefehlshabern an. Eduard studierte Musik, Philosophie, Jura, Literatur und Mathematik in Graz, Brüssel und Paris. Obwohl er sich im Joannäum mit der Unterstützung von Erzherzog Johann als Mathematikprofessor bewarb, veröffentlichte er doch auch geisteswissenschaftliche Abhandlungen und schrieb die Volksüberlieferung auf; trotzdem wird er mit Recht in erster Linie als Musiker betrachtet.

Als Komponist gehört er der Frühromantik an, sein Musikopus umfasst fast 200 Werke, von Liedern und Kammermusik bis zu Opern und Sinfonien. Seine größte Popularität erreichte er mit musikalischen Szenenwerken, insbesondere mit Biedermeier-Melodramen, die ihren Weg auf alle Bühnen der damaligen Monarchie fanden, auch nach Laibach, ihrer Beliebtheit nach könnte man sie mit den heutigen "Musicals" vergleichen. Kenner schätzen seine Kammermusik am höchsten und weisen noch darauf hin, dass er die zeitgenössischen Kriterien für das Lied aufgestellt hat. Für die Entwicklung der europäischen Musik wird aber wohl seine Organisationsarbeit am wichtigsten gewesen sein, er konzipierte das Konzertgeschehen in Wien und in Österreich überhaupt neu (Concerts Spirituel) und war ausschlaggebend für den Aufstieg Wiens als europäische Musikhauptstadt. Besonders verdienstvoll machte er sich für den Durchbruch von Beethoven. Er war Gründungsmitglied der Musikfreunde, einer Vorstufe des berühmten Musikvereins. Als Direktor des Wiener Konservatoriums und Mitbegründer des Grazer Konservatoriums leistete er einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Musikschulwesens. Etliche Jahrzehnte war er eine Schlüsselfigur des Musikgeschehens in Mitteleuropa.

EIN MARBURGER IN DER EUROPÄISCHEN MUSIKGESCHICHTE

Er gehörte dem fortschrittlichen Intellektuellenkreis um Erzherzog Johann an, der selber sehr gern nach Wildhaus zu Besuch kam. Er schrieb über das Erwachen der Völker (auch des "illyrischen"), seine Schriften über die Volksmusik können als Anfang der europäischen Ethnomusikologie betrachtet werden. Im Jahre 1848 veröffentlichte er ein Büchlein über die damaligen Gesellschaftsverhältnisse, in dem er auch seine Ansichten über die künftige Entwicklung darlegte, die sich in mancher Hinsicht als prophetisch erwiesen haben.

Und wo hat sich Lannoy bis zum heutigen Tag versteckt, dass Marburg es nicht zustande brachte, schon früher eine der wichtigsten Musikpersönlichkeiten, die je durch unsere Stadt spaziert ist, zu würdigen? Verborgen war er überhaupt nicht, denn Wolfgang Suppan hat ihn schon vor einem halben Jahrhundert in seiner Doktorarbeit allseitig präsentiert. Die Arbeit ist in gekürzter Form in Graz (Graz, 1960) erschienen, davon hat er im Vodušek-Sammelband der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste (SAZU, Ljubljana, 1990) und im Zmaga Kumer-Sammelband (Ljubljana, 1999) berichtet. Das Problem steckt natürlich in unserer Einstellung gegenüber der Kulturgeschichte von Marburg, aus der auch die wichtigsten Beiträge der deutschsprachigen Mitbürger praktisch gelöscht worden sind. Lannoy bietet angesichts der Wahl von Marburg zur Europäischen Kulturhauptstadt im Jahre 2012 die Gelegenheit, in dieser Hinsicht etwas zu ändern. Wir haben es mit einem echten Europäer zu tun; wie er selber berichtet hat, habe er seine Bildung teilweise in Zentralschulen der Republik Frankreich erworben, in den Napoleonischen Lyzeen und technischen Schulen, teilweise an österreichischen Gymnasien und Hochschulen. Als geborener Belgier habe er die österreichische Staatsbürgerschaft selbst gewählt, sei aber frei und ungebunden geblieben, was er auch weiterhin bleiben wolle. Marburg und Wildhaus können auf seinen Namen stolz sein.

WILDHAUS – EIN EUROPÄISCHER TREFFPUNKT

Auf dem Kellerberg oberhalb des heutigen Schlosses Wildhaus stand schon in alten Zeiten die Festung von St. Paul. Der Baubeginn des heutigen Gebäudes wurde 1625 vom »Vater der Ostdiplomatie« Sigismund von Herberstein veranlasst. Spätere Anbauten der Familie Lannoy-Carneri und von anderen ließen einen der schönsten Renaissancepaläste von Slowenien entstehen, dem Akademiemitglied Matjaž Kmecl sogar einen Platz in seinem Buch »Die Schätze von Slowenien« eingeräumt hat. Wildhaus ist mit seinem neuromanischen Kastellstil ein Schulbeispiel der historischen Schlossarchitektur. Obwohl notgedrungen eklektisch ist es bezaubernd romantisch mit seiner Vielzahl von Gauben und Türmchen und in erster Linie mit dem großen Randturm, der das gesamte Gebäude beherrscht. Der Palast war für seine Marmorkamine, die einmaligen Bildhauerwerke und in erster Linie für die geschnitzten Holzdecken berühmt. Eine besondere Sehenswürdigkeit war die große gepflegte englische Parkanlage mit einer Unmenge seltener Baumarten. Wildhaus war zwar im 2. Weltkrieg wirklich auch ein Unglücksort für die Gefangenen der Gestapo, aber den Großteil seiner Geschichte war es ein Treffpunkt von für die Kultur wichtigen Leuten aus ganz Europa, die in unserer Vergangenheit tiefe Spuren hinterlassen haben. In ganz besonderem Maße gilt das für die Familie Lannoy, die in Wildhaus die größten Künstler der Vormärzzeit zu Gast hatte. Wildhaus – eines der bedeutendsten Baudenkmäler und ein europäischer Kulturpunkt erlebt heute ein sehr trauriges Schicksal – ausgeraubt und vergessen ist es zu einem Geisterhaus verkommen. Die Familie Lannoy hat es einmal schon erneuert, vielleicht könnte es heute mit ihrer Hilfe nach 200 Jahren wieder im europäischen Kulturleben präsent gemacht werden?

Franci Pivec

IMPRESSUM:

E-Mail: steiermark.stajerska@gmail.com
Redakteur: Jan Schaller
Ein Unabhängiges Autorenprojekt des
Kulturvereines deutschsprachiger Frauen »Brücken«
Marburg an der Drau/ Maribor

Die Beiträge der Autoren und Autorinnen der Webseite Steiermark-Stajerska müssen nicht der offizielle Meinung des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten entsprechen.

SPONSOR:

© 2022. Alle Rechte vorbehalten

Priloga-3