"Muttersprache" oder "Familiensprachen"

Die Kärntner Slowenen haben Probleme, sich bei Frage über die  “Muttersprache” zu entscheiden,

weil die meisten in der Familie zwei Sprachen sprechen und daher die einzig richtige Definition

“Familiensprachen” ist.

              Universitätsprofessor Dr. Heinz Dieter Pohl, ehemaliger Professor an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt, schreibt in den Wiener Sprachblättern (Mai 2023) darüber, ob Minderheiten eine einzige Muttersprache haben oder ob es sich um alle Sprachen handelt, die in der Familie täglich gesprochen werden und dann der Plural “Familiensprachen” richtiger ist.

     „Als Muttersprache oder auch Erstsprache bezeichnet man die Sprache, die ein Kind zuerst erwirbt. Die beiden Begriffe sind synonym. Wir verwenden den Begriff Erstsprache, wenn wir betonen wollen, dass ein Kind von klein auf mehr als eine Sprache spricht. Der Begriff MUTTERSPRACHE wird gewählt, wenn betont werden soll, dass der Beginn des Spracherwerbs vor der Geburt liegt. Es ist heute anerkannt, dass Kinder bereits drei Monate vor der Geburt mit der Sprache ihrer Mutter vertraut sind. Bereits im sechsten Schwangerschaftsmonat reagiert das Kind auf Stimmen und erkennt die Stimme der Mutter.

      In der Linguistik wird hauptsächlich der Begriff “Erstsprache” verwendet, um die historisch missbrauchte Bedeutung des Begriffs “Muttersprache” zu vermeiden, der hauptsächlich für nationale politische Zwecke verwendet wurde, so dass eine ansonsten neutrale Bedeutung des Wortes sehr schnell als aggressive politische Nationalität interpretiert werden kann, wie aus der Geschichte wohl bekannt ist. In der alltäglichen Konversation sollten wir uns jedoch an den am häufigsten verwendeten Begriff “Muttersprache” halten, da er uns am meisten sagt.

     In der Fachwelt gibt es jedoch ein Problem mit der Verwendung des Synonyms “Muttersprache” für Kinder, die in ihren ersten drei Lebensjahren zwei oder sogar drei Primärsprachen lernen und verwenden. Von Zweisprachigkeit eines Kindes kann man ja erst ab dem dritten Lebensjahr sprechen. Das ist vor allem bei Minderheiten der Fall, aber wir beobachten bei der Einschulung von Kindern in zweisprachigen Schulen in Kärnten, dass diese Kinder unterschiedliche Niveaus in ihrer zweiten Sprache haben, und es stellt sich die Frage, welche ist die zweite Sprache, Slowenisch oder Deutsch.

    Meiner Erfahrung nach ist das Wichtigste für die Zweisprachigkeit die Erziehung der Kinder im Kindergarten und vor allem die Zweisprachigkeit in der Familie selbst, zumindest im Familienkreis zu Hause. Denn die Familie gibt dem Kind von Geburt an die Basis, das Fundament der Sprache,  Kindergarten und Schule können dies nur unterstreichen und weiter fördern, die Schule kann also nur die Technik des Lesens und Schreibens und die Gestaltung der Sprache neben dem lokalen Dialekt hinzufügen.

     Auf diese Weise unterscheiden wir zwischen slowenischen Kindern in Österreich-Kärnten, die das Slowenisch erst als zweite Fremdsprache in der Schule lernen und Kindern, die von Geburt an zwei Hauptsprachen in der Familie sprechen.  Beide Sprachen sind “Familien-sprache” und diese Kinder können nicht sagen was ist ihre “Muttersprache”, da sie zweisprachig leben und beide Sprachen als “Familiensprache” bezeichnet werden sollten.”

  Dies wird in einem zweisprachigen Gebiet und besonders bei gemischten Ehen noch deutlicher, denn was ist eine “Muttersprache”, wenn slowenische Geschwister (Bruder/Schester) mit einem deutschen Partner verheiratet sind und Kinder haben. Was ist dann die “Muttersprache” dieser beiden Familien, wenn sie alle von Geburt an beide “Familiensprachen”,  Slowenisch und Deutsch sprechen.

      Und so bekommen wir wieder Probleme mit der Statistik, die bei der Volkszählung wissen will, was die “Muttersprache” ist; die Nationalität ist bei der Volkszählung nicht mehr obligatorisch, und die Frage nach der gesprochenen Sprache in der Familie und der gesprochenen Sprache in der Umgebung wurde in Slowenien nur bei der Volkszählung 1991 als fakultative Frage gestellt.

   Schauen wir über hundert Jahre zurück, als bei den Volkszählungen von 1880 bis 1910 nach der gesprochenen Sprache gefragt wurde und es keines dieser Probleme gab.

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Redakteur: Jan Schaller
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